Richtige Anwendung eines Kollektivvertrages bei mehreren Gewerbeberechtigungen
Die Anwendbarkeit eines Kollektivvertrages richtet sich grundsätzlich nach der von der Wirtschaftskammer bescheidmäßig festgestellten Zugehörigkeit des*der Arbeitgeber*in zu einem Fachverband. Die Zugehörigkeit zu einem Fachverband bestimmt sich in den meisten Fällen durch die Gewerbeberechtigung des*r Arbeitgebers*in. Wenn ein*e Arbeitgeber*in über mehrere Gewerbeberechtigungen verfügt, ist er*sie grundsätzlich mehrfach kollektivvertragsangehörig. In einem solchen Fall kommt, wenn das Unternehmen nicht über mehrere Betriebe bzw. selbständige Betriebsabteilungen verfügt, sondern ein Mischbetrieb besteht, dennoch nur ein Kollektivvertrag zur Anwendung, und zwar jener, der für den Betrieb die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung hat. Der Oberste Gerichtshof (OGH vom 29.06.2020, 8 ObA 14/20x iVm OGH vom 25.05.2022, 8 ObA 41/22w) befasste sich mit der Frage, was für den Fall gilt, wenn für keinen Fachbereich eine solche maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung für den Betrieb besteht.
Im gegenständlichen Fall ging es um einen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendet wurde. Der Arbeitgeber ist ein Sanierungsunternehmen im Zusammenhang mit der Beseitigung von Schadensfolgen nach Bränden, Wasser-, Sturmschäden und gewissen Kontaminationen. Er verfügt hierfür über 13 Gewerbeberechtigungen, durch die er Mitglied in verschiedenen Fachverbänden der Wirtschaftskammer ist. Es lag ein Mischbetrieb vor. Der Arbeitgeber wendete auf das Arbeitsverhältnis den Kollektivvertrag Gebäudereinigung an. Der Arbeitnehmer begehrte (ursprünglich) die Anwendung des Kollektivvertrags Baugewerbe und klagte Entgeltdifferenzen ein.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil es den Reinigungsleistungen die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung für den Betrieb zuordnete. Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sah weder für den Kollektivvertrag Gebäudereinigung noch für den Kollektivvertrag Baugewerbe eine überwiegende und für den gesamten Betrieb prägende Bedeutung. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes sei daher der Kollektivvertrag, dessen Geltungsbereich – unbeschadet der Verhältnisse im Betrieb – die größere Anzahl von Arbeitnehmer*innen in Österreich erfasse, heranzuziehen (§ 9 Abs 4 Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG)).
Der OGH bestätigte diese Entscheidung. Die Auffassung, keinem Fachbereich komme eine maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung für den Betrieb zu, sei vertretbar. Der OGH hob auch hervor, dass die Parteien – trotz der Vielzahl von Gewerbeberechtigungen – nur die Kollektivverträge Baugewerbe und Gebäudereinigung als relevant herausgegriffen hatten. Daher haben die anderen Kollektivverträge mangels gleicher oder zumindest vergleichbarer wirtschaftlicher Bedeutung im weiteren Verfahren außer Betracht zu bleiben. Das Erstgericht habe daher etwa anhand eines Gutachtens der Wirtschaftskammer zu klären, ob der Kollektivvertrag Baugewerbe oder Gebäudereinigung mehr Arbeitnehmer*innen in Österreich erfasst.
Der Arbeitnehmer versuchte im zweiten Rechtsgang dennoch zu argumentieren, dass bei der Ermittlung des anwendbaren Kollektivvertrags nach § 9 Abs 4 ArbVG nicht nur die beiden Kollektivverträge mit vergleichbarer wirtschaftlicher Bedeutung (Kollektivvertrag Baugewerbe und Gebäudereinigung), sondern auch Wirtschaftsbereiche untergeordneter Bedeutung einzubeziehen wären. Damit wäre aber wohl ein Kollektivvertrag zur Anwendung gekommen, der zwar in Österreich viele Arbeitnehmer*innen umfasst (etwa Handel), der aber für den konkreten Betrieb nur von marginaler Bedeutung war. Dieser Auslegung erklärte der OGH im Einklang mit seiner Entscheidung im ersten Rechtsgang eine klare Absage, da diese den Gesetzeszweck verfehlen würde. Nach Ansicht des OGH soll die gesetzliche Regelung die Anwendung eines fachlich geeigneten Kollektivvertrages ermöglichen, da dieser auch auf die jeweilige Branche abgestimmt sei. Ein anderes Verständnis würde zur Anwendung eines nicht für die konkreten Arbeitsverhältnisse geeigneten Kollektivertrags führen.
Die Frage der Ermittlung des anwendbaren Kollektivvertrags ist in der der Praxis oft komplex, insbesondere wenn der*die Arbeitgeber*in über mehrere Gewerbeberechtigungen verfügt und daher mehrfach kollektivvertragsangehörig ist. Speziell bei Mischbetrieben, kann es – wie im Anlassfall – dazu kommen, dass der anwendbare Kollektivvertrag erst durch ein Gutachten der Wirtschaftskammer, welcher Kollektivvertrag die größere Anzahl von Arbeitnehmer*innen in Österreich erfasst, ermittelt wird. Wenn auch der OGH zumindest klargestellt hat, dass nur jene Kollektivverträge in Frage kommen, denen eine vergleichbare wirtschaftliche Bedeutung für den Betrieb zukommen, sorgt die erforderliche Einholung eines Gutachtens bis zu dessen Vorliegen dennoch für eine erhebliche rechtliche Unsicherheit. Die einzige Möglichkeit, dies zu vermeiden, liegt für den*die Arbeitgeber*in wohl darin, den Geschäftsbetrieb so zu organisieren, dass kein Mischbetrieb, sondern mehrere Betriebe oder zumindest organisatorisch abgegrenzte Betriebsabteilungen vorliegen. Denn dann käme für jeden Betrieb bzw. Betriebsabteilung der jeweils fachlich entsprechende Kollektivvertrag zur Anwendung.