Entgeltbegriff bei überlassenen Arbeitskräften
Eine überlassene Arbeitskraft hat grundsätzlich Anspruch auf ein angemessenes, ortsübliches Entgelt. Nach dem Arbeitskräfteüberlassungsgesetz ist für die Dauer der Überlassung zur Beurteilung der Angemessenheit das kollektivvertraglich oder gesetzlich festgelegte (Mindest-)Entgelt einer vergleichbaren Arbeitskraft im Beschäftigerbetrieb heranzuziehen. In einer aktuellen Entscheidung (OGH 23.07.2024, 9ObA18/24y) stellte der OGH nun klar, dass auch einmalige Sonderzahlungen in diesen Entgeltbegriff einzubeziehen sind.
Der Kläger war als überlassene Teilzeitarbeitskraft für die Austro Control GmbH (Beschäftiger) tätig. Auf alle Dienstverhältnisse der Austro Control GmbH war der Firmenkollektivvertrag der Austro Control GmbH („Kollektivvertrag“) anzuwenden. Ein Nachtrag zum Kollektivvertrag sah vor, dass alle Mitarbeiter:innen […] einmalig für 2021 für ihren besonderen Einsatz und die erhöhte Belastung während der COVID 19 Pandemie eine einmalige Prämie […] in der Höhe von EUR 3.000,- erhalten sollten. Teilzeitmitarbeiter sollten diese Prämie entsprechend ihrem Beschäftigungsausmaß aliquotiert erhalten.
Der an die Austro Control GmbH überlassenen Kläger begehrte nun von seiner Arbeitgeberin (Überlasser) ebenfalls die Zahlung der anteiligen Corona-Prämie. Er stützte sich dabei auf § 10 Abs 1 Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG), wonach eine überlassene Arbeitskraft Anspruch auf ein angemessenes, ortsübliches Entgelt hat. Während einer Überlassung ist dabei zur Beurteilung der Angemessenheit das kollektivvertraglich oder allenfalls gesetzlich festgelegte (Mindest-)Entgelt einer vergleichbaren Arbeitskraft im Beschäftigerbetrieb heranzuziehen. Strittig war nun, ob auch die gegenständliche Corona-Prämie unter den Entgeltbegriff des § 10 Abs 1 AÜG fällt. Dabei führte der Kläger aus, dass die bislang herrschende Rechtsprechung des OGH, die beim Entgeltbegriff des § 10 Abs 1 AÜG auf periodische, in der Regel monatlich fällig werdende Entgeltansprüche abstelle, seit Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie (Richtlinie 2008/104/EG, „LeiharbeitsRL“) nicht mehr aufrechtzuerhalten sei. Die Beklagte berief sich dagegen bei der Ablehnung dieses Anspruchs auf eben diese Rechtsprechung des OGH.
Das Erstgericht wies die Klage ab, das Berufungsgericht gab der Klage jedoch statt. Nach Umsetzung der LeiharbeitsRL sei – entgegen der früheren Rechtsprechung – auch bei § 10 Abs 1 AÜG der allgemeine arbeitsrechtliche Entgeltbegriff maßgeblich, der auch einmalige Zahlungen umfasse. Der Kläger habe somit einen Anspruch auf die aliquote Corona-Prämie.
Der OGH (9ObA18/24y) führte in weiterer Folge aus, dass seine früheren Entscheidungen (OGH 03.12.2003, 9ObA113/03p; 17.12.2008, 9ObA158/07) zwar klargestellt hätten, dass sich der Entgeltbegriff des § 10 Abs 1 AÜG unmittelbar nur auf die periodisch, in der Regel monatlich fällig werdenden Entgeltansprüche beziehe. Der OGH stellte dieser Rechtsprechung jedoch die nach diesen Entscheidungen erfolgte Umsetzung der LeiharbeitsRL in Österreich (BGBl I 2012/98) gegenüber. Der Gesetzgeber habe § 10 Abs 1 AÜG zwar nicht wesentlich verändert, jedoch in den Materialien zur Umsetzung ausgeführt, dass der Entgeltbegriff des § 10 Abs 1 AÜG umfassend zu verstehen sei. Schon vor diesem Hintergrund sei daher die frühere Rechtsprechung nicht mehr aufrechtzuerhalten. Auch eine richtlinienkonforme Interpretation ergebe nichts anderes: Das österreichische Arbeitsrecht gehe allgemein von einem umfassenden, weiten Entgeltbegriff aus. Ein eigener Entgeltbegriff für überlassene Arbeitskräfte würde gegen das Gebot der Gleichbehandlung verstoßen. Im Ergebnis umfasse daher auch der Entgeltbegriff des § 10 Abs 1 AÜG nicht nur das periodisch, in der Regel monatlich fällig werdende Entgelt, sondern entspreche vielmehr dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Entgeltbegriff. Daher sei jedenfalls auch die kollektivvertragliche Corona-Prämie von diesem Entgeltbegriff umfasst, auch wenn sie nur einmalig zustünde.
Der Kläger habe iSd § 10 Abs 1 S 3 AÜG einen Anspruch auf das Mindestentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer für vergleichbare Tätigkeiten nach dem Kollektivertrag des Beschäftigerbetriebs. Da die Corona-Prämie laut Kollektivvertrag allen Arbeitnehmern der Austro-Control zugestanden sei, seien auch alle Arbeitnehmer der Austro-Control mit dem Kläger vergleichbar (dies unabhängig von der ausgeübten Tätigkeit). Damit bestünde der Anspruch des Klägers auf die anteilige Corona-Prämie zurecht.
Für die Praxis bestätigt diese Entscheidung nun die in der Lehre bereits seit längerem vertretene Auffassung, dass der Begriff des „angemessenen Entgelts“ bei überlassenen Arbeitskräften umfassend zu verstehen ist. Überlasser*innen müssen nun umso mehr darauf achten, dass überlassene Arbeitskräfte das Mindestentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer*innen für vergleichbare Tätigkeiten nach dem Kollektivertrag des Beschäftigers erhalten. Dies schließt auch a-periodische Leistungen laut Kollektivvertrag des Beschäftigerbetriebs ein, wie etwa einmalige Prämien, Jubiläumsgelder oder Abfertigungsansprüche.
Hinweis: Dieser Blog stellt lediglich eine generelle Information und keineswegs eine Rechtsberatung von Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH dar. Der Blog kann eine individuelle Rechtsberatung nicht ersetzen. Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH übernimmt keine Haftung, gleich welcher Art, für Inhalt und Richtigkeit des Blogs.