Gruppenbesteuerung (Fortsetzung): VwGH lässt Bildung einer Unternehmensgruppe trotz Nichtvorliegens einer inländischen Zweigniederlassung eines ausländischen Gruppenträgers zu
Sachverhalt
Die Muttergesellschaft (M-GmbH), eine in Deutschland ansässige GmbH, hat die Feststellung einer Unternehmensgruppe im Sinne des § 9 KStG ab dem Veranlagungsjahr 2017 beantragt, mit ihr als Gruppenträgerin und zwei in Österreich ansässigen Tochtergesellschaften (Beteiligung zu 99,8 % und zu 100 %). Die M-GmbH verfügte weder über eine im Firmenbuch eingetragene Zweigniederlassung in Österreich, noch hielt sie die Beteiligungen an den Gruppenmitgliedern über eine österreichische Zweigniederlassung, wie dies im Gesetz grundsätzlich für die Eigenschaft als Gruppenträgerin gefordert war. Der Antrag auf Feststellung der Unternehmensgruppe zielte darauf ab, die Ergebnisse der beiden Gruppenmitglieder in Österreich miteinander auszugleichen, während ein Trasfer des Ergebnisses nach Deutschland nicht angestrebt wurde. Der Antrag wurde im Juni 2019 mit Bescheid vom Finanzamt abgewiesen, gegen welchen die mitbeteiligten Parteien Bescheidbeschwerde erhoben.
Verfahrensgang
Somit musste sich das Bundesfinanzgericht (BFG) zum ersten Mal mit der Rechtsfrage befassen, ob die Bildung einer Schwesterngruppe ohne im Firmenbuch eingetragener Zweigniederlassung im Inland, welcher die Beteiligungen an den Gruppenmitgliedern zuzurechnen sind, möglich ist (BFG vom 31.3.2022, RV/7104573/2020). Binder Grösswang hat in einem LawBlog berichtet [https://www.bindergroesswang.at/law-blog/2022/gruppenbesteuerung-horizontaler-ergebnisausgleich-inlaendischer-tochtergesellschaften-1]. Das BFG hat entschieden, dass die Voraussetzung einer inländischen Zweigniederlassung für die Bildung einer Steuergruppe einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstellt und daher unionsrechtswidrig ist. Das BFG hat damit erstmals einen sogenannten horizontalen Verlustausgleich zwischen inländischen Tochtergesellschaften über das Referenzobjekt der ausländischen EU-Muttergesellschaft zugelassen. Die Zurechnung zwischen den Schwestergesellschaften sollte nach BFG dadurch erfolgen, dass eine der inländischen Tochtergesellschaften die Funktion des Gruppenträgers übernimmt, wodurch dieser das gesamte inländische Gruppeneinkommen, bestehend aus den steuerlichen Einzelergebnissen der inländischen Gruppengesellschaften, zuzurechnen ist.
Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH vom 1.3.2023, Ro 2022/13/0015) hob die Entscheidung des BFG vom 31.3.2022 wegen Zustellmängeln auf. Während der Gruppenfeststellungsbescheid sowie der den Gruppenantrag abweisende Bescheid des Finanzamtes gegenüber allen betroffenen Gesellschaften ergangen ist, ist das Erkenntnis des BFG hingegen nur an die M-GmbH zugestellt worden, obwohl es allen betroffenen Gesellschaften zugestellt hätte werden müssen.
Das BFG musste sich daher ein Jahr nach dem ersten Erkenntnis erneut mit der Rechtssache befassen (BFG vom 31.3.2023, RV/7100758/2023) und fällte inhaltlich die gleiche Entscheidung, weil der VwGH lediglich auf die Zustellmängel eingegangen ist und die Rechtsfrage nicht inhaltlich beantwortet hat. Somit erfolgte die Zurechnung des Ergebnisses auf der Ebene eines Gruppenmitgliedes, weil die Voraussetzung einer Zweigniederlassung im Inland einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstellen würde und damit unionsrechtswidrig sei. Gegen das Erkenntnis des BFG wurde eine Amtsrevision erhoben, weshalb der VwGH nun erstmals inhaltlich zu der Rechtsfrage Stellung genommen hat.
Erkenntnis des VwGH
Der VwGH hob das Erkenntnis des BFG vom 31.3.2023 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf (VwGH vom 27.3.2024, Ro 2023/13/0018). Der VwGH folgte zwar der Rechtsansicht des BFG, dass das Erfordernis der (im Firmenbuch eingetragenen) inländischen Zweigniederlassung und Zurechnung der Beteiligung an diese eine verbotene und nicht gerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt. Jedoch kann dem Unionsrecht – entgegen der Ansicht des BFG – nicht entnommen werden, dass eine der Tochtergesellschaften als Gruppenträgerin fungieren soll.
Die EU-Mitgliedstaaten müssen mit Verweis auf die neue Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) durch nationale Regelungen verhindern können, dass Verluste (grenzüberschreitend) doppelt berücksichtigt werden. Dies wäre möglich, wenn die deutsche Rechtslage im konkreten Sachverhalt eine Verlustberücksichtigung (zB durch eine Teilwertabschreibung der deutschen Muttergesellschaften an den Beteiligungen der Tochtergesellschaften) zulässt und gleichzeitig aufgrund der Verrechnung innerhalb der Unternehmensgruppe ein Ergebnisausgleich vorgenommen wird. Feststellungen im Erkenntnis des BFG zur deutschen Rechtslage fehlten jedoch, weshalb unklar bleibt, ob eine doppelte Verlustberücksichtigung eingetreten wäre. Nach Ansicht des VwGH gehe jedoch auch bei Zulässigkeit und selbst bei tatsächlicher Vornahme einer Teilwertabschreibung in Deutschland das Erfordernis der Zweigniederlassung im Inland über das Erforderliche zur Verhinderung der doppelten Verlustberücksichtigung hinaus.
Der VwGH war der Ansicht, dass ein unionsrechtskonformer Zustand hergestellt werden kann, indem der Gruppenantrag so gewertet wird, dass die Gruppenmitglieder für Zwecke der Gruppenbesteuerung im Ergebnis ähnlich wie inländische Betriebsstätten der Gruppenträgerin behandelt werden. Das Einkommen der Tochtergesellschaften soll bei der M-GmbH zugerechnet werden, Einkommen bzw Verluste der deutschen M-GmbH soll jedoch nicht Teil des Gruppenergebnisses sein. Der VwGH hat sich somit für eine vertikale Ergebniszurechnung zur deutschen Gruppenträgerin entschieden, wobei eine tatsächliche Zurechnung dem Erkenntnis des VwGH nicht entnommen werden kann. Die inländischen steuerlichen Ergebnisse der Gruppenmitglieder sollen zusammengerechnet bzw ausgeglichen werden und unterliegen der Besteuerung in Österreich, weil die Gruppenmitglieder wie inländische Betriebsstätten der ausländischen Gruppenträgerin behandelt werden. Dadurch soll sichergestellt werden, dass das Besteuerungsrecht Österreichs am inländischen Gruppenergebnis nicht verloren geht.
Im Feststellungbescheid ist laut VwGH auszusprechen, dass die ausländische Muttergesellschaft als Gruppenträgerin fungiert und die unmittelbaren österreichischen Tochtergesellschaften als Gruppenmitglieder, die für Zwecke der Gruppenbesteuerung und unter Einhaltung der Vorgaben des § 9 KStG wie Betriebsstätten des Gruppenträgers behandelt werden. Die gesetzlichen Regelungen für die Unternehmensgruppe im Sinne des § 9 KStG sind anwendbar (insbesondere Errichtung einer Steuerumlagevereinbarung, Ausgleichsfähigkeit von Vor- und Außergruppenverluste nur mit den jeweiligen Betriebsstättenergebnissen). Außerdem sollen Verlustvorträge aus den Ergebnissen der österreichischen Gruppenmitglieder einen vorträgsfähigen Verlust der ausländischen Gruppenträgerin darstellen.
Nun liegt es am BFG im fortgesetzten Verfahren zu der Rechtssache auszusprechen, dass der Gruppenantrag der ausländischen Gruppenträgerin zu genehmigen ist. Ob der Gesetzgeber nach diesem VwGH-Erkenntnis tätig wird, um einen unionsrechtskonformen Zustand herzustellen, oder ob in Hinkunft basierend auf der Rechtsprechung vorzugehen ist, bleibt abzuwarten.
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