Betriebsrat in einem „Nichtbetrieb“: vorzeitige Beendigung der Tätigkeitsdauer möglich?
Die Tätigkeitsdauer eines Betriebsrats beträgt grundsätzlich fünf Jahre. In gewissen Fällen endet die Tätigkeitsdauer jedoch von Gesetzes wegen bereits vor Ablauf dieser Tätigkeitsdauer. Einer dieser Fälle ist die dauernde Einstellung des Betriebes. In einer aktuellen Entscheidung beschäftigte sich der Oberste Gerichtshof (OGH) nun damit, ob eine analoge Anwendung dieser Bestimmung auch auf in sogenannten Nichtbetrieben gewählte Betriebsräte möglich ist (OGH 18.03.2024, 9ObA40/23g).
Im gegenständlichen Fall handelt es sich bei der beklagten Partei um ein Autobusunternehmen mit Zentrale in Wien. Im Jahr 2018 erhielt diese den Zuschlag zur Linienführung in Oberösterreich und beauftragte damit ein Unternehmen in Oberösterreich. Im Jahr 2020 wurde die oberösterreichische Gesellschaft schließlich auf die beklagte Partei verschmolzen, wobei die Organisation des Standorts in Oberösterreich im Wesentlichen unverändert blieb. In den Vorinstanzen wurde in diesem Zusammenhang unstrittig geklärt, dass es sich bei der oberösterreichischen Einheit weder vor noch nach der Verschmelzung um einen Betrieb iSd § 34 Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) handelte und sohin ein sogenannter „Nichtbetrieb“ vorlag.
Dennoch wurde der ab 2018 bei der oberösterreichischen Gesellschaft beschäftigte Kläger in diesem Nichtbetrieb zum Betriebsrat gewählt. Die Betriebsratswahl im „Nichtbetrieb“ wurde nicht angefochten (es handelt sich um keinen Nichtigkeitsgrund). Daher wurde der Mangel der Betriebsratswahl in einem „Nichtbetrieb“ saniert. Trotz „Nichtbetrieb“ bestand daher ein Betriebsrat, dem der Kläger als Betriebsratsmitglied angehörte.
Betriebsratsmitglieder unterliegen einem besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutz, weswegen grundsätzlich vorab die gerichtliche Zustimmung für die Kündigung und Entlassung von Betriebsratsmitgliedern erforderlich ist. Ohne die erforderliche Zustimmung ist eine Kündigung/Entlassung unwirksam. Der besondere Kündigungs- und Entlassungsschutz besteht während der gesamten Tätigkeitsdauer (idR fünf Jahre sofern Tätigkeitsdauer oder Mitgliedschaft nicht bereits früher enden) bis drei Monate nach Erlöschen der Mitgliedschaft zum Betriebsrat (u.a. auf Grund dem Ende der Tätigkeitsdauer nach fünf Jahren oder vorzeitiger Beendigung der Tätigkeitsdauer).
Im März 2021 – d.h. nach der gesellschaftsrechtlichen Verschmelzung – wurde der Kläger von der beklagten Partei gekündigt, ohne dass dafür eine gerichtliche Zustimmung eingeholt wurde.
Der Kläger klagte daher unter anderem auf Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis weiterhin aufrecht sei, da die auf Grund seiner Betriebsratsmitgliedschaft erforderliche Zustimmung des Gerichts für die Kündigung nicht eingeholt worden sei. Er stützte sich dabei darauf, dass die gesamte oberösterreichische Einheit auf die beklagte Partei übergegangen sei, der (Nicht-)Betrieb in Oberösterreich unverändert fortbestehe und damit die Tätigkeitsdauer des Betriebsrates nicht geendet hätte.
Zu klären galt es in diesem Fall daher, ob durch analoge Anwendung des § 62 Z 1 ArbVG (Vorzeitige Beendigung der Tätigkeitsdauer auf Grund der dauernden Einstellung des Betriebes) ein Betriebsrat in einem „Nichtbetrieb“ untergeht, wenn es zur Einstellung eines Betriebs kommt, da § 62 Z 1 ArbVG . grundsätzlich auf das Vorliegen eines Betriebs iSd § 34 ArbVG abstellt.
Ob die vorzeitigen Endigungsgründe gemäß § 62 ArbVG grundsätzlich analog auf „Nichtbetriebe“ anzuwenden seien, wurde vom OGH offengelassen. Im vorliegenden Fall wurde die analoge Anwendung von § 62 Z 1 ArbVG jedoch bereits deswegen verneint, da nach herrschender Ansicht der reine Wechsel des Betriebsinhabers oder der Rechtsform des Unternehmens (und damit auch die gesellschaftsrechtliche Verschmelzung) alleine noch keine Betriebseinstellung darstellt. Es müsste vielmehr zusätzlich zu tatsächlichen Umstrukturierungen im Unternehmen bzw. organisatorischen Veränderungen kommen.
Dies sei im vorliegenden Fall nicht geschehen, sondern die bereits bestehende Organisation sei unverändert fortgeführt worden. Somit wäre es auch im Fall des Vorliegens eines Betriebs iSd § 34 ArbVG zu keiner Betriebseinstellung gekommen. Diese Grundsätze müssten auch im Fall eines „Nichtbetriebs“ entsprechend angewandt werden und der „Nichtbetrieb“ vor der Umstrukturierung mit jenem nach der Umstrukturierung im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung verglichen werden. Nur wenn sich dieser derart grundlegend verändert, dass nicht mehr vom gleichen „Nichtbetrieb“ gesprochen werden kann, so wäre von einem Untergang der Identität des „Nichtbetriebs“ auszugehen. In diesem Fall würde die Tätigkeitsdauer vorzeitig enden.
Da es im vorliegenden Fall zu keiner relevanten Veränderung in der Identität und organisatorischen Gliederung der oberösterreichischen Einheit kam, habe die Funktionsperiode nicht aufgrund einer dauernden Betriebseinstellung vorzeitig geendet und der besondere Kündigungs- und Entlassungsschutz sei zum Zeitpunkt der Kündigung des Klägers aufrecht gewesen. Mangels gerichtlicher Zustimmung sei die Kündigung des Klägers daher unwirksam.
Für die Praxis macht diese aktuelle Entscheidung erneut deutlich, dass gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen nur dann zur vorzeitigen Beendigung der Tätigkeitsdauer des Betriebsrats führen, wenn es auch zu tatsächlichen Umstrukturierungen im Unternehmen bzw. organisatorischen Veränderungen kommt. Hierbei sind auch für Betriebsräte in „Nichtbetrieben“ im Wesentlichen die gleichen Beurteilungskriterien heranzuziehen wie bei Vorliegen eines Betriebs iSd § 34 ArbVG.
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