Vorstandsbeschluss: Die Gegenstimme ist nicht genug!
Vorstandsmitglieder haften der Aktiengesellschaft gegenüber solidarisch für jenen Schaden, der durch eine Verletzung ihrer Obliegenheiten entsteht. Diese Solidarhaftung gilt auch bei Vorstandsbeschlüssen: Ein überstimmtes Vorstandsmitglied hat einen ordnungsgemäß zustande gekommenen und inhaltlich rechtmäßigen Vorstandsbeschluss zwar aufgrund der organschaftlichen Treuepflicht loyal mitzutragen und an seiner Ausführung pflichtgetreu mitzuwirken. Das überstimmte Vorstandsmitglied setzt sich jedoch dem Risiko einer eigenen Haftung aus, wenn es nicht alle zumutbaren Schritte zur Beseitigung eines mangelhaften Vorstandsbeschlusses bzw. zur Verhinderung seiner Ausführung ergreift. Eine Gegenstimme bei der Beschlussfassung allein reicht jedenfalls nicht, um ein Vorstandsmitglied gegenüber der Gesellschaft von seiner Verantwortung für den Vorstandsbeschluss zu entbinden.
Mangelhafte Vorstandsbeschlüsse
Ein überstimmtes Vorstandsmitglied muss grundsätzlich seine Bedenken artikulieren und alle zumutbaren Schritte zur Beseitigung eines Vorstandsbeschlusses bzw. zur Verhinderung von dessen Ausführung ergreifen, wenn dieser Vorstandsbeschluss bei gebotener Sorgfalt erkennbar (a) sorgfaltswidrig gefasst wurde, nicht wirksam zustande gekommen, anderweitig rechts-, satzungs- oder gesetzwidrig ist oder (b) dem Unternehmensinteresse zuwiderläuft. Andernfalls riskiert das überstimmte Vorstandsmitglied eine Haftung aufgrund pflichtwidriger Unterlassung eines Verhinderungsversuchs. Dasselbe gilt für Vorstandsmitglieder, die bei Beschlussfassung abwesend sind oder sich der Stimme enthalten. Eine eigenmächtige Befreiung von der drohenden Haftung durch bewusstes Fernbleiben oder Stimmenthaltung kommt nicht in Betracht, bei unverschuldeter Abwesenheit muss das abwesende Vorstandsmitglied den Vorstandsbeschluss nachträglich prüfen. Außerdem darf ein Vorstandsmitglied weder durch Abwesenheit oder andere Mittel die Fassung eines mangelhaften Vorstandsbeschlusses verhindern, noch darf es sich über einen solchen Beschluss einfach hinwegsetzen.
In der Praxis sollte verhältnismäßig einfach zu beurteilen oder festzustellen sein, ob ein Vorstandsbeschluss rechtswidrig ist (bspw. wegen Verletzung des Verbots der Einlagenrückgewähr). Probleme bereitet allerdings mitunter der Tatbestand „Verletzung des Unternehmensinteresses“, der ein überstimmtes Vorstandsmitglied ebenso zum Vorgehen gegen einen Vorstandsbeschluss verpflichten soll:
Unternehmerische Entscheidungen sind im Regelfall unvermeidlich mit Unsicherheit verbunden und daher naturgemäß risikobehaftet. Aus diesem Grund sind Vorstandsmitglieder bei der Geschäftsführung auch zur Einhaltung eines objektiven Sorgfaltsmaßstabs (§ 84 Abs. 1 AktG) verpflichtet, unterliegen jedoch keiner Erfolgshaftung. Geschäfte, die unter Beachtung dieses Sorgfaltsmaßstabs eingegangen werden, verletzen das Unternehmensinteresse nicht schon deshalb, weil ihnen ein unternehmerisches Risiko immanent ist. Das ist etwa der Fall bei Kreditvergaben, die immer mit einem Ausfallsrisiko verbunden sind. Außerdem verlangt der Sorgfaltsmaßstab nicht eine einzelne Handlungsweise, sondern es können unterschiedliche, einander völlig entgegenstehende Handlungsoptionen sorgfaltskonform sein und dem Unternehmensinteresse entsprechen. Im Ergebnis sprechen daher gute Gründe dafür, dass der Tatbestand „Verletzung des Unternehmensinteresses“ eine eingeschränkte Bedeutung hat. In jenen Fällen, in denen ein Vorstandsbeschluss – für das überstimmte Vorstandsmitglied erkennbar – mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Unternehmensinteresse (hier: Rentabilität und Bestand des Unternehmens) so schwerwiegend zuwiderläuft, dass bei Betrachtung von Kosten, Nutzen und Risiko mit einem (nennenswerten) Nachteil für das Unternehmen geradezu gerechnet werden muss, die Entscheidung also schlicht unvertretbar ist, ist in den meisten Fällen wohl ohnehin der Tatbestand der Sorgfaltswidrigkeit erfüllt.
Zumutbare Maßnahmen
Hat ein überstimmtes Vorstandsmitglied die Frage geklärt, ob es zur Verhinderung oder Aufhebung eines mangelhaften Vorstandsbeschlusses verpflichtet ist, so stellt sich die nächste – im kollegialen Zusammenwirken der Vorstandsmitglieder nicht unproblematische – Frage, nämlich welche Maßnahmen dem überstimmten Vorstandsmitglied konkret zumutbar sind. Die Beantwortung dieser Frage ist heikel, denn zu niederschwellige Maßnahmen befreien das überstimmte Vorstandsmitglied nicht von der Haftung, zu weitgehende Maßnahmen können wiederum selbst sorgfaltswidrig sein und die Gesellschaft (mitunter erheblich) schädigen.
Es gibt keine allgemeine Formel dafür, welche Maßnahmen einem überstimmten Vorstandsmitglied konkret zur Verhinderung der Ausführung eines betroffenen Vorstandsbeschlusses zumutbar sind. In Betracht kommen sowohl gesellschaftsinterne als auch gesellschaftsexterne Maßnahmen. Die im Einzelfall gebotenen Maßnahmen hängen von der Bedeutung der Angelegenheit, der Stärke der Bedenken sowie der Größe des absehbaren Schadens und dem Risiko seines Eintretens bei Ausführung des Beschlusses ab. In jedem Fall hat sich das überstimmte Vorstandsmitglied bei der Entscheidung, welche Maßnahmen es gegebenenfalls ergreift, auf eine sorgfältige Bewertung von Risiko bzw. Erfolgswahrscheinlichkeit, potenziellem Schaden und Nutzen der Maßnahmen zu stützen, deren Umfang und Detailgrad der Bedeutung der Angelegenheit angemessen ist. Die zu ergreifenden Maßnahmen müssen jedenfalls hinsichtlich des Ergebnisses dieser Risikobewertung verhältnismäßig sein.
Gesellschaftsinterne Maßnahmen
Grundsätzlich sind dem überstimmten Vorstandsmitglied zumindest sämtliche gesellschaftsinternen Maßnahmen zur Verhinderung der Ausführung eines mangelhaften Vorstandsbeschlusses zumutbar. Dazu zählen in der Regel das Ersuchen um tiefergehende Erörterung (gegebenenfalls unter Beiziehung von Experten oder Vorlage von Gutachten) sowie die Mitteilung der eigenen Bedenken und Einwände im Plenum mit allen Vorstandsmitgliedern oder in Einzelgesprächen, beispielsweise mit dem Vorstandsvorsitzenden. Infrage kommt außerdem eine Vertagung der Beschlussfassung (insbesondere wenn dadurch eine Verhinderung der Beschlussfassung oder eine Änderung des Beschlussinhalts realistisch scheint), ein Widerspruch gegen den Vorstandsbeschluss im Protokoll, eine erneute Beantragung des Vorstandsbeschlusses und eine Gegenvorstellung im Vorstand.
Eine weitere – unter Umständen sogar gebotene – Eskalation ist die Information des Aufsichtsrats. Konsequenz dieser Eskalation, der auch die Verschwiegenheitspflicht nicht entgegensteht, kann aber nur die Androhung oder tatsächliche Abberufung eines Vorstandsmitglieds aus wichtigem Grund oder ein Schlichtungsversuch sein: Der Vorstand hat sich zwar mit Kritik und Stellungnahmen des Aufsichtsrats auseinanderzusetzen, eine Befugnis zur bindenden Entscheidung über Meinungsverschiedenheiten zwischen Vorstandsmitgliedern kommt dem Aufsichtsrat aber nicht zu. Außerdem könnte eine Billigung der Handlung durch den Aufsichtsrat die Vorstandsmitglieder (einschließlich des überstimmten Vorstandsmitglieds) auch gar nicht von der Haftung befreien (vgl. § 84 Abs. 4 AktG). Zur Amtsniederlegung aus wichtigem Grund ist das überstimmte Vorstandsmitglied zur Vermeidung von Haftungsfolgen berechtigt, aber nicht verpflichtet.
Gesellschaftsexterne Maßnahmen
Die Befassung gesellschaftsfremder Dritter mit gesellschaftsinternen Problemen kommt schon aufgrund der Verschwiegenheitspflicht nach § 84 AktG nur als Ultima Ratio und nach Ausschöpfung oder bei Aussichtslosigkeit der gesellschaftsinternen Maßnahmen in Betracht. Es gilt der Grundsatz, dass jede Zuhilfenahme von gesellschaftsfremden Dritten in einer möglichst schonenden Form zu erfolgen hat. Die betroffenen Vorstandsmitglieder haben jedenfalls den Schutz dieser Informationen durch entsprechende Vertraulichkeitsverpflichtungen sicherzustellen.
Je größer der drohende Schaden oder das Risiko für die Gesellschaft aus der Ausführung des mangelhaften Vorstandsbeschlusses ist, desto drastischere Mittel kann das betroffene Vorstandsmitglied ergreifen (bis hin zu einer Feststellungsklage, gegebenenfalls unter Beantragung einer einstweiligen Verfügung, oder sogar Strafanzeige). Abgesehen von einer gesetzlichen Anzeige- oder Meldepflicht (z. B. Ad-hoc-Meldepflicht bei börsenotierten Unternehmen, Verdachtsmeldung an die Geldwäschestelle oder zur Verhinderung einer vorsätzlichen, mit Strafe bedrohten Handlung) besteht aber grundsätzlich keine Anzeigepflicht. Eine Anzeige kann auch darüber hinaus zur Vermeidung weiterer Schäden im Interesse der Gesellschaft liegen. Das betroffene Vorstandsmitglied hat sorgfältig abzuwägen, ob Risiko und Nutzen im Einzelfall unter Beachtung der möglichen negativen Auswirkungen (z. B. Öffentlichkeitswirkung, Zerrüttung unter Organmitgliedern, Grundlage für Schadenersatzansprüche Dritter) im Unternehmensinteresse liegen. Eine Feststellungsklage wegen Rechtswidrigkeit des Vorstandsbeschlusses darf, muss das betroffene Vorstandsmitglied aber nicht erheben. Ein Einschalten der Öffentlichkeit bzw. der Medien soll jedenfalls der absolute Ausnahmefall bleiben.
Fazit
Dem überstimmten Vorstandsmitglied sind grundsätzlich zumindest sämtliche gesellschaftsinternen Maßnahmen zur Verhinderung der Ausführung eines mangelhaften Vorstandsbeschlusses zumutbar. Diese Maßnahmen sollten in einer funktionalen Gesellschaft auch ausreichen, zumal das Ergebnis der gesetzten Maßnahmen neben der Verhinderung der Ausführung auch eine Anpassung des Vorstandsbeschlusses oder eine Entkräftung der Bedenken des überstimmten Vorstandsmitglieds sein kann (das aber die entgegengehaltenen Argumente und Informationen wiederum sorgfältig zu prüfen hat). Wenn in diesen Fällen mit gesellschaftsinternen Maßnahmen kein rechtskonformer Zustand hergestellt werden kann, kommen gesellschaftsexterne Maßnahmen in Betracht.
Es sprechen gute Argumente dafür, dass keine Pflicht des überstimmten Vorstandsmitglieds zum Vorgehen gegen einen Vorstandsbeschluss besteht, der dem Unternehmensinteresses zuwiderläuft, jedoch nicht sorgfaltswidrig ist. Möchte das überstimmte Vorstandsmitglied dennoch gegen einen solchen Vorstandsbeschluss vorgehen, kommen ausschließlich vorstandsinterne Maßnahmen (z. B. eine weitere Diskussion innerhalb des Vorstands) und im Ausnahmefall die übrigen gesellschaftsinternen Maßnahmen in Betracht.
Bei Unklarheit empfiehlt sich jedenfalls die Einbeziehung von verschwiegenheitsverpflichteten Beratern mit entsprechender Expertise (Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer). In der Praxis ist eine detaillierte Dokumentation ratsam (auch im Lichte der Business Judgment Rule), um erforderlichenfalls die zugrunde liegenden Tatsachen, Überlegungen, gesetzten Maßnahmen und deren Ergebnisse nachweisen zu können.
Hinweis: Dieser Blog stellt lediglich eine generelle Information und keineswegs eine Rechtsberatung von Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH dar. Der Blog kann eine individuelle Rechtsberatung nicht ersetzen. Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH übernimmt keine Haftung, gleich welcher Art, für Inhalt und Richtigkeit des Blogs.