Verjährung von Urlaub grundsätzlich nur nach Aufforderung zum Urlaubsverbrauch
Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebührt dem*der ausscheidenden Arbeitnehmer*in für bislang unverbrauchten Urlaub eine Urlaubsersatzleistung, sofern der Urlaubsanspruch noch nicht verjährt ist. Grundsätzlich verjährt der Urlaubsanspruch nach dem Urlaubsgesetz nach Ablauf von zwei Jahren ab dem Ende des Urlaubsjahres, in dem er entstanden ist. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist es aber eine Voraussetzung für die Verjährung des Urlaubs, dass der*die Arbeitgeber*in den*die Arbeitnehmer*in unter Hinweis auf den sonstigen Verfall dazu auffordert, den Urlaub zu verbrauchen. Hintergrund dafür ist es, den*die Arbeitnehmer*in auch in die Lage zu versetzen, den offenen Urlaub zu verbrauchen (u.a. EuGH vom 06.11.2018, C-619/16 sowie C-684/16 und C-120/21). In diesem Zusammenhang stellte der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) in einer kürzlich ergangenen Entscheidung (VwGH vom 20.12.2022, Ra2021/12/0040) zwar klar, dass dies nicht dazu führen könne, dass Arbeitgeber*innen ihre Arbeitnehmer*innen gleichsam dazu zwingen müssen, Urlaub zu konsumieren, ohne allerdings die Judikatur des EuGH generell in Frage zu stellen.
Basierend auf der Rechtsprechung des EuGH, sei der*die Arbeitgeber*in dazu verpflichtet, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der*die Arbeitnehmer*in tatsächlich in der Lage ist, seinen*ihren bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Um dieser Verpflichtung nachzukommen, habe er*sie ihn*sie - erforderlichenfalls förmlich – aufzufordern, dies zu tun. Um sicherzustellen, dass der Urlaub dem*der Arbeitnehmer*in noch die erforderliche Erholung und Entspannung bieten könne, habe der*die Arbeitgeber*in dem*der Arbeitnehmer*in zudem klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass sein*ihr Urlaubsanspruch mangels Konsumation, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen wird. Dadurch solle verhindert werden, dass der*die Arbeitnehmer*in, der*die als schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen sei, abgeschreckt ist, seine*ihre Rechte gegenüber dem*der Arbeitgeber*in durchzusetzen. Daher treffe den*die Arbeitgeber*in auch die Beweispflicht für den freiwilligen und bewussten Verzicht des*der Arbeitnehmers*in.
Diese Thematik wurde erst kürzlich in einer Entscheidung des VwGH aufgegriffen.
Ein Beamter (Revisionswerber) war im Rahmen seiner Dienstzuteilung als Geschäftsführer einer GmbH tätig. Auf seinen Wunsch wurde er „in den Ruhestand versetzt“. Der Revisionswerber stellte in weiterer Folge einen Antrag auf Auszahlung einer Urlaubsersatzleistung für offenes Urlaubsguthaben im Ausmaß von 889 Stunden. Sein Begehren wurde von den Vorinstanzen jeweils abgewiesen.
Der VwGH bestätigte dies und wies in seiner Beurteilung darauf hin, dass die beschriebene Rechtsprechung des EuGH nur solche Konstellationen betreffe, in welchen der Arbeitnehmer bei seinem Arbeitgeber einen Antrag bezüglich seines Urlaubsverbrauchs stellen müsse. Da der Arbeitnehmer als schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen sei, solle dieser vom Arbeitgeber in die Lage versetzt werden, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrnehmen zu können. Die Rechtsprechung des EuGH gehe jedoch nicht so weit, dass der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer, der in der Lage war, seinen bezahlten Urlaub wahrzunehmen, zum Urlaubsverbrauch zwingen müsse. Da im gegenständlichen Fall der Revisionswerber als Geschäftsführer selbst für die Urlaubseinteilung sowie den Urlaubsverbrauch sämtlicher Arbeitnehmer und somit auch für seinen eigenen Urlaub verantwortlich war, hätte er gar keinen Urlaubsantrag beim Arbeitgeber stellen müssen. Aus diesem Grund sei die Rechtsprechung des EuGH auf den gegenständlichen Fall nicht anwendbar.
Die abweisende Entscheidung des VwGH hatte ihren Ursprung in der Stellung des Revisionswerbers als Geschäftsführer und ist daher nicht auf sonstige Arbeitnehmer anzuwenden. Dabei ist generell darauf hinzuweisen, dass die sich aus der Rechtsprechung des EuGH ergebende Aufforderungspflicht zum Urlaubsverbrauch vom österreichischen Gesetzgeber (noch) nicht implementiert wurde. Da aber die EU-rechtlichen Bestimmungen zum Urlaubsrecht den österreichischen Rechtsvorschriften jedenfalls zu einem gewissen Teil vorgehen, zumindest aber bei deren Auslegung zu berücksichtigen sind, empfiehlt es sich für die Praxis im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH den Arbeitnehmern*innen zB zu Beginn jedes Kalenderjahres das Ausmaß des jeweils aktuell offenen Urlaubsanspruchs schriftlich mitzuteilen, sie weiters zum Verbrauch dieses Anspruches aufzufordern und darauf hinzuweisen, dass die Ansprüche ansonsten gemäß den gesetzlichen Bestimmungen verjähren. Anderenfalls besteht ein erhebliches Risiko, dass sich die Arbeitgeber*innen nicht auf die Verjährung von Urlaubsansprüchen berufen können.
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