Entwurf zur Reform des Wettbewerbsgesetzes in Deutschland vom Bundeskabinett beschlossen – Auswirkungen für österreichische Unternehmen?
Die deutsche Bundesregierung hat am 05.04.2023 die 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) beschlossen. Der Gesetzesentwurf des sog. „Wettbewerbsdurchsetzungsgesetzes“ verfolgt, mittels Weiterentwicklung des geltenden Wettbewerbsrechts und Erweiterung der Befugnisse des Bundeskartellamtes, das Ziel Störungen des Wettbewerbs im Sinne der Verbraucher*innen besser abstellen zu können.
Einleitung
Aktuell erleben wir eine Zeit der hohen Inflation. Große Händler achten genau darauf wie viel die Konkurrenz für ihre Produkte verlangt und richten ihr eigenes Marktverhalten danach aus. Bisher fehlt es den Wettbewerbsbehörden an Möglichkeiten gegen dieses „Parallelverhalten“ rechtliche Schritte einzuleiten, wenn ihnen nicht der Nachweis gelingt, dass die Unternehmen sich dabei wettbewerbsschädigenden verhalten (zB Absprachen oder direkter Austausch von Informationen untereinander). Dieses Problem zeichnet sich sowohl in Österreich als auch in Deutschland ab. Insbesondere dort, wo es nur wenige Anbieter am Markt gibt und die häufigen Parallelen der Preisentwicklungen zu großen Nachteilen der Verbraucher*innen führen, soll in Deutschland durch die 11. GWB-Novelle entgegengewirkt werden.
Das deutsche Bundeskabinett hat die, vom deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz vorgelegte, Verschärfung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen bereits beschlossen. Nun wird das Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz dem deutschen Bundestag und Bundesrat zugeleitet. Zu finden ist der Regierungsentwurf auf der Internetseite des deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.
Überblick über die Änderungen durch die 11. GWB-Novelle
Beschleunigung der Sektoruntersuchungen (§ 32e GWB)
Zwischen der Einleitung einer Sektoruntersuchung und ihrem Abschluss vergeht teilweise viel Zeit, daher wird der bestehende § 32e GWB um eine Regeldauer von maximal 18 Monaten ergänzt. Diese Sollfrist bezweckt eine Verfahrensbeschleunigung und soll der Sicherstellung einer ausreichend aktuellen Datengrundlage dienen.
Das neue Eingriffsinstrument (§32f GWB)
Bisher folgt auf eine Sektoruntersuchung lediglich ein Bericht des Bundeskartellamts (BKartA). In Zukunft soll das BKartA nach der Feststellung einer Störung des Wettbewerbs im Zuge einer Sektoruntersuchung auch die Möglichkeit haben einzugreifen, also verschiedene Maßnahmen anordnen können. Beispielsweise können Marktzugänge erleichtert, Konzentrationstendenzen gestoppt oder, als ultima ratio, Unternehmen entflochten werden. Vorbildwirkung hat hierbei die Marktuntersuchung der Wettbewerbsbehörde des Vereinigten Königreichs (CMA). Die CMA kann im Anschluss an eine solche ebenfalls Abhilfemaßnahmen inkl Entflechtungen vornehmen. Näheres hierzu siehe unten.
Der Eingriff außerhalb des Kartellverbots und der Missbrauchsaufsicht soll dem Regierungsentwurf nach nur in Fällen erheblicher und fortwährender Störungen des Wettbewerbs auf mindestens bundesweiten Markt, mehreren einzelnen Märkten oder marktübergreifend erlaubt sein. Dadurch soll das Kartellamt die Erkenntnisse aus Sektoruntersuchungen effektiver nutzen können. Nach der Feststellung einer erheblichen und fortwährenden Störung des Wettbewerbs können nun Maßnahmen zur Beseitigung oder Verringerung dieser ergriffen werden. Die Störungen, die zum Eingriff führen können, müssen dabei nicht durch verbotene Verhaltensweisen von Unternehmen hervorgerufen worden sein, sondern können zB auch in strukturellen Merkmalen von Märkten liegen.
Als ultima ratio der möglichen Maßnahmen ist die eigentumsrechtliche Entflechtung bei marktbeherrschenden Unternehmen sowie Unternehmen mit einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb vorgesehen. Dem Entwurf nach, ist sie auf Fälle beschränkt, bei denen eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs vorliegt und zu erwarten ist, dass die festgestellte Störung des Wettbewerbs mittels Entflechtung beseitigt oder erheblich verringert werden kann.
Unternehmen steht die Möglichkeit offen, Verpflichtungen einzugehen, welche geeignet sind, die wettbewerblichen Bedenken des BKartAs zu beseitigen; das Kartellamt kann derartige Zusagen für bindend erklären. Dies birgt für betroffene Unternehmen die Chance weniger einschneidende Maßnahmen vorzuschlagen, welche dennoch die Wettbewerbsstörungen beseitigen.
Erleichterte Abschöpfung des entstandenen Vorteils (§ 34 GWB)
Weiters wird die Abschöpfung der aus Kartellverstößen entstandenen Vorteile für das BKartA erleichtert. Zwar kann das BKartA bereits heute einen wirtschaftlichen Vorteil, welcher durch einen Kartellverstoß entstanden ist, abschöpfen, aufgrund der restriktiven Anwendungsvoraussetzungen ist dies in der Praxis jedoch noch nicht vorgekommen. Eingeführt werden soll eine Vermutung hinsichtlich der Entstehung eines wirtschaftlichen Vorteils und eine pauschale Mindesthöhe. Dieses verwaltungsrechtliche Instrument der Vorteilsabschöpfung soll sicherstellen, dass die durch Kartellrechtsverstoß erwirtschafteten Vorteile nicht beim Verursacher verbleiben. Des Weiteren soll es zu einem Anstieg von Abschöpfungsverfahren führen.
Durchsetzung der Verordnung (EU) Nr. 2022/1925
Zusätzlich erweitert der Gesetzesentwurf (in Umsetzung der Verordnung (EU) Nr. 2022/1925) die dem BKartA zustehenden Ermittlungsbefugnisse, dadurch erhält das BKartA eine neue Möglichkeit, um gegen große Digitalkonzerne zu ermitteln. Weiters wird im Zuge dieser Novelle die private Durchsetzung des Digital Markets Act erleichtert. Siehe zu dieser Thematik auch den Blogbeitrag „Introducing the Digital Markets Act (I)“ vom 14.03.2023.
Die Meinung der Monopolkommission zu den Änderungen
In Hinblick auf die Novelle hat die Monopolkommission, ein unabhängiges Beratungsgremium, das die deutsche Bundesregierung und die gesetzgebenden Körperschaften berät, eine umfassende Stellungnahme abgegeben.
Die Monopolkommission äußerte sich bereits in ihrem Hauptgutachten von 2022 zur missbrauchsunabhängigen Entflechtung als äußerstes Mittel in der 11. GWB-Novelle und hat diese empfohlen. Sie gibt dabei zu Bedenken, dass dieses Instrument nur auf Basis einer sorgfältigen Abwägung und Diskussion aller relevanter Aspekte eingeführt werden sollte. Weiters weist sie im Hinblick auf den Vorrang von Regulierungsmaßnahmen darauf hin, dass in Bezug auf die digitalen Märkte einstweilen (noch) kein Bedarf für eine missbrauchsunabhängige Entflechtung bestehen dürfte. Insbesondere da zunächst die Anwendungspraxis zu den geschaffenen Neuregelungen für den digitalen Sektor und die weitere Praxis zu Art. 102 AEUV abgewartet werden sollte.
Parallelen zu Maßnahmen im Vereinigten Königreich
Im Vereinigten Königreich bestehen bereits ähnliche Regelungen, wie sie in § 32f GWB geplant sind. Die britische Wettbewerbsbehörde (Competition and Markets Authority, CMA) hat die Möglichkeit im Anschluss an Marktuntersuchungen Maßnahmen bei Störungen des Wettbewerbs zu ergreifen, die bis zur Entflechtung reichen. In der Vergangenheit wurde von dieser Möglichkeit in wenigen Fällen Gebrauch gemacht: So kam es zur Entflechtung von Flughäfen und von Unternehmen, die im Zementbereich tätig waren. Im Vorfeld gab es jeweils umfassende Untersuchungen der betroffenen Märkte, zu den feststellbaren Wettbewerbsverzerrungen und zu möglichen Alternativen zur Behebung dieser. Eine unabhängige Beratungsfirma kam in ihrem Evaluierungsbericht zur Entflechtung im Flughafensektor zu dem Ergebnis, dass die Entflechtung positive Auswirkungen auf den Wettbewerb unter Flughäfen hatte und unter Berücksichtigung der Kosten der Entflechtung und des bisherigen Nutzens für Verbraucher*innen verhältnismäßig war. Zu beachten ist hierbei allerdings das Zusammenspiel mit der 2012 reformierten Flughafenregulierung, weshalb der Erfolg wohl nicht allein der Entflechtung zuzuschreiben ist.
Ausblick auf mögliche Folgen für österreichische Unternehmen
Österreichische Unternehmen, die in Deutschland aktiv sind oder eine Expansion nach Deutschland planen, könnten zukünftig von dem neuen Eingriffsinstrument betroffen sein und infolgedessen von einer Aktivität am deutschen Markt absehen.
Durch die geplante Möglichkeit der Maßnahmensetzung aufgrund von festgestellten Marktstörungen des BKartA ohne wettbewerbsschädigendes Verhalten wird die Einschätzung durch welche Verhaltensweisen ein Unternehmen mit (welchen) Konsequenzen rechnen muss deutlich erschwert. Die Rechtsunsicherheit, welche durch das neue Instrument des BKartA entsteht, wird erst im Laufe der Zeit durch die gelebte Praxis verringert werden.
Bereits im Herbst 2022 hat die Studienvereinigung Kartellrecht in ihrer Stellungnahme zum Entwurf der 11. GWB Novelle auf die negativen Anreizwirkungen der neuen Eingriffsmöglichkeiten der Kartellbehörde hingewiesen. Kartellrechtskonform handelnde Unternehmen, die dennoch damit rechnen müssen, dass ihnen ein Wettbewerbsvorteil genommen werden kann, werden ihre Bereitschaft zu Investitionen, Effizienz und Innovationen am Wirtschaftsstandort Deutschland verringern. Dies könnte auch für österreichische Unternehmen ein Grund sein sich gegen einen Eintritt auf den deutschen Markt zu entscheiden und stattdessen in andere Staaten zu expandieren.
Ausblick auf Auswirkungen auf das Wettbewerbsrecht in Österreich
Die Diskussion um das Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz macht deutlich: das Rechtsgebiet Wettbewerbsrecht (und die Vollzugsmöglichkeiten der Behörden) gewinnt für Unternehmen noch stärker an Bedeutung. Mit dem Blick nach Deutschland liegt die Frage nahe, ob ähnliche Gesetzesänderungen auch in Österreich möglich oder gar schon geplant sind.
Anlassfälle, welche den behördlichen Wunsch nach einem Eingriffsinstrument ähnlich dem § 32 GWB gemäß der 11. GWB-Novelle entstehen lassen, gibt es auch hier. Beispielsweise hat die BWB eine Verdoppelung bis Verdreifachung der Gewinnmargen von Raffinerien im Sommer 2022 festgestellt, konnte jedoch keine gerichtsfesten Hinweise auf Kartellierung oder Marktmachtmissbrauch finden. Strukturelle oder verhaltensbezogene wettbewerbsfördernde Auflagen waren daher nicht möglich - der BWB waren die Hände gebunden.
In einem „Standard“-Interview bezeichnete die interimistische Generaldirektorin der BWB Harsdorf-Borsch den deutschen Gesetzesentwurf als „interessant“, wollte allerdings keine Empfehlung zu der Frage, ob solche Instrumente (auch in Österreich) geschaffen werden sollen, abgeben, da es sich hierbei um eine politische Entscheidung handelt.
Auch das österreichische Wirtschaftsministerium hat sich gegenüber dem „Standard“ hierzu geäußert. Die Entwicklung in Deutschland wird beobachtet, man habe aber unions- und verfassungsrechtliche Bedenken und sähe die Eingriffe in rechtskonformes Verhalten der Unternehmen als Paradigmenwechsel, der zu Rechtsunsicherheit führen könnte.
Resümee
Das Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz und die Diskussionen dazu zeigen eine spannende Entwicklung des Wettbewerbsrechts in Deutschland, welche gewiss auch weiterhin über die deutschen Grenzen hinaus für Gesprächsstoff und Denkanstöße sorgen wird. Bleibt die aktuelle Fassung des Entwurfs bestehen, heißt es abzuwarten wie und wie häufig die Änderungen in der Praxis angewendet werden und welche Konkretisierungen durch die Rechtsprechung getroffen werden.
Auswirkungen auf Österreich sind jedenfalls möglich: Einerseits durch direkt von der 11. GWB-Novelle betroffene österreichische Unternehmen, die am deutschen Markt teilnehmen, und andererseits durch die Möglichkeit, dass die deutschen Änderungen auch vom österreichischen Gesetzgeber aufgegriffen und eventuell (teilweise) eingeführt werden. Insbesondere, wenn sich herausstellt, dass die Maßnahmen positive Auswirkungen auf den Wettbewerb in Deutschland haben.
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